Der grüne Rechtsruck

Der grüne Rechtsruck

14. November 2020

Ein Bekannter sagte vor Jahren zu mir: »Die Grünen sind die ÖVP der Stadt.« Ich habe zuerst über diesen Satz gelacht, dann aber einen Abend lang mit ihm darüber gestritten. Heute fällt er mir immer wieder ein. Nur bin ich nicht mehr sicher, ob ich die Grünen in derselben Diskussion im Jahr 2021 noch verteidigen würde.

Es ist ein Irrtum, zu glauben, die Grünen seien links. Meist wird der Begriff links ohnehin abschätzig von Boulevardmedien oder rechten Politikern verwendet. Aber auch die, die das Wort links als objektive Zuordnung im politischen Spektrum verstehen, wenden es kaum auf die Grünen der Gegenwart an.

Die Frage muss erlaubt sein: Muss eine Ökologiepartei links sein? Schon vor dem ersten Einzug der Grünen in den Nationalrat 1986 formierten sich Bürgerinitiativen und Umweltbewegungen. Am bekanntesten sind wohl jene gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf und das Wasserkraftwerk Hainburg geblieben. Ihr damaliger Gegner war notwendigerweise die regierende SPÖ. Daher unterstützte die ÖVP die Umweltbewegung, wenn auch aus Parteitaktik und nicht aus ökologischen Motiven.

Die meisten Grünpolitiker auf Landesebene kamen aus der ÖVP, z.B. Kaspanaze Simma, in den 1980er-Jahren in Vorarlberg erfolgreich. Im Grunde aber war es eine bunte Truppe. Sie musste sich erst formieren und etablieren und sich im Richtungsstreit mit dem VGÖ positionieren. So hieß dann auch die erste grüne Partei, die 1986 den Einzug in den Nationalrat schaffte: Die Grüne Alternative — Liste Freda Meissner-Blau. Das weitere politische Schicksal der acht damaligen Abgeordneten zeigt, dass darunter linke, liberale, konservative und auch ein rechter Politiker waren, nämlich Josef Buchner, der aber bereits im Dezember 1987 aus dem Club ausgeschlossen wurde.

Eine wirkliche Konsolidierung der Partei gelang erst Bundessprecher Alexander Van der Bellen; es war aber auch keinen deutlicher Rechtsruck. Zum einen durch eine klare Pro-EU-Linie, die es bei der Volksabstimmung über den Beitritt zur Europäischen Union 1994 noch nicht gegeben hatte. Zum anderen in der klaren Positionierung der Partei in der Mitte des politischen Spektrums. Das war nicht überraschend. Die Aussage Van der Bellens in einer ORF-Pressestunde, die Grünen hätten »mehr Berührungspunkte mit der ÖVP als mit der SPÖ«, hat trotzdem viele Wählerinnen und Wähler (u.a. den Autor dieses Artikels) gekostet.

Das politische Programm hat aber unter Van der Bellen gehalten. Er war ein Politiker der Stabilität und ist heute ein Präsident der Stabilität. Als Sebastian Kurz zum ÖVP-Obmann gemacht wurde, war mir klar, dass damit das konservative Parteiprogramm der ÖVP zerstört war. Kurz ist ein typischer Rechtspopulist, der sich mit Angstmache und immer mit Themen des Boulevards selbst inszeniert, Politik aber sachlich dilettantisch und mit rein parteipolitischer Strategie betreibt. Als Werner Kogler die Grünen in schweren Zeiten übernahm, dachte ich nicht, dass er das Parteiprogramm der Grünen zerstören würde. Er hat es in kurzer Zeit geschafft.

Die Liste der Umfaller, mit denen die Grünen seit Beginn der schwarz-grünen Koalition ihr politisches Programm verraten haben, ist viel zu lang für diesen Artikel (Ich nenne nur einmal, dass sie plötzlich gegen das Glyphosatverbot stimmen oder allen Ernstes eine verfassungswidrige »Sicherungshaft« unterstützen …). Hier kann nicht nur niemand mehr mit, der links ist, hier kann niemand mehr mit, der soziales und ökologisches Bewusstsein hat. Dass die Grünen, wenn sie argumentativ in Not geraten, über die SPÖ herfallen, zeigt ja nur, wie sehr die Kritik am Ausverkauf des Parteiprogramms ins Schwarze trifft.

Haarsträubend auch die Koalitionen in den Ländern Salzburg und Tirol. Der Skitourismus macht ganze Landstriche kaputt, ruiniert das soziale Gefüge der Ortschaften und basiert, was Arbeitskraft betrifft, auf Sklaverei. Wenn die Grünen nicht gegen dieses ökologische und ökonomische Desaster sind, sondern es in Tirol als Regierungspartei mitverantworten, erübrigt sich ein Parteiprogramm, in dessen Zentrum der Umweltschutz steht.

Die Frage, ob eine Ökologiepartei links sein muss, hat jeder für sich selbst zu beantworten. Meiner Meinung nach lautet die Antwort klar: ja. Ökologische Probleme sind nicht von sozialen Problemen zu trennen. Sie werden vom Kapitalismus erzeugt und ihre Bekämpfung beginnt mit der Einsicht, dass weder natürliche Ressourcen noch menschliche Arbeitskraft endlos ausgebeutet werden können. Ökologie erfordert also Planwirtschaft. Die großen Probleme unseres Planeten sind die Bevölkerungsentwicklung, die Schere zwischen Arm und Reich und die Zerstörung der Umwelt. Sie hängen voneinander ab und müssen gleichzeitig bekämpft werden. Auch die Migration hat ihre Ursachen in Ausbeutung und demokratischen Mängeln, die weder durch Zäune an Grenzen noch durch exterritoriale Konzentrationslager der EU in Libyen beseitigt werden.

Kapitalistische Ökologie erleben wir in der Form von Maßnahmen, die alleine den Konsumenten und niemals den Produzenten zum Handeln zwingen. Und sie unterstützen treffsicher die Wohlhabenden und verteilen Kapital von unten nach oben, wie etwa die staatliche Stützung beim Kauf eines Elektroautos. Diese Politik ist nicht mehr als ein Feigenblatt, Showpolitik, die strukturelle Probleme nicht löst.

In der Koalition mit der Kurz-ÖVP haben die Grünen in wenigen Monaten viele Punkte ihres Programms aufgegeben. Man fragt sich nur: Wo ist der Gewinn für die Grünen? Wo ist auch nur ein Kompromiss, den die ÖVP zugunsten der Grünen machen musste? Grün-Politiker geben darauf nur eine Antwort: Gäbe es diese Koalition nicht, würde Kurz mit der FPÖ regieren — und das wäre noch schlimmer. Ich behaupte: Schwarz-Grün ist schlimmer als Schwarz-Blau. Wenn die Grünen auch nur dabei mitwirken, das geplante, rechtsstaatswidrige »Anti-Terror-Paket« zu verabschieden, sind sie am rechten Rand angelangt. Am schlimmsten ist Schwarz-Grün also nicht für die Bevölkerung, sondern für die Grünen selbst.

Der Preis, den die Grünen für diese Koalition zahlen, ist zu hoch. Österreich braucht eine linke Ökologiepartei und nicht noch eine Rechtspartei. Wenn die Grünen es nicht schaffen, in einer Koalition ökologische Politik zu machen, dann müssen sie diese Politik eben in der Opposition machen. Auch dort kann man etwas bewirken. Das Nein Österreichs zur Atomkraft anno 1978 war ja auch nicht Regierungslinie.

https://zackzack.at/2020/11/14/not-a-bot-nicht-links-nicht-gruen