Was uns nach vorne bringt

Was uns nach vorne bringt

27. März 2021

Die Rolle der Sozialdemokratie in Österreich wird wieder lebhaft diskutiert. Das ist einerseits gut, denn eine Veränderung der politischen Misslage dieses Landes wird es ohne Sozialdemokratie nicht geben. Sie kann es aber auch nicht alleine schaffen. Andererseits macht die Widersprüchlichkeit der Vorstellungen und Erwartungen von der Sozialdemokratie ihr mehr zu schaffen, als sie jetzt brauchen kann. Das Schmeichelhafte daran ist, dass offensichtlich sehr viele Menschen der Meinung sind, dass nur die SPÖ Österreich staatstragend und vernünftig durch Krisen navigieren und mit Kompromissen regieren kann.

Das ist auch nicht verwunderlich, wenn man die Erfolgsgeschichte der Partei betrachtet, die von 1970 bis 2017 nur vier Jahre keine Parlamentsmehrheit hatte und nur sechs Jahre nicht den Kanzler gestellt hat. Davon kann sie sich allerdings heute nichts kaufen und ihr Erholungsfaktor in der Opposition ist durch permanente Erschütterungen der Rechtsregierungen und ständige Neuwahlen minimal.

Es gibt diese wiederkehrenden Tweets, die wiederkehrende Twitterphrasen wieder und wieder wiederholen: Gibt’s die Sozialdemokratie noch? Ich frage für einen Freund. Oder so ähnlich. Dazu kommen Vorschläge, Ratschläge und überhaupt Schläge aller Art. Es werden also Forderungen gestellt; und zwar an eine Partei, die man 2017 lustvoll mit Füßen getreten hat, als sie im Übrigen eine damals ebenso vehement geforderte Umstrukturierung und Verjüngung hinter sich gebracht hatte.

Ich habe – das gebe ich offen zu – nie viel von Wechselwählern gehalten. Politik ist kein Eissalon. Und doch kommen mir heute viele Wähler vor wie Menschen, die im Eissalon Erdbeereis bestellen. Wenn sie es dann kosten, sagt der eine: »Schmeckt aber nicht nach Vanille.« Der andere: »Schmeckt aber nicht nach Pistazie.« Der Dritte: »Schmeckt aber nicht nach Schoko.« Soll man also ein Alle-Sorten-Eis herstellen?

Ähnlich verhält es sich mit dem Argument, die Sozialdemokratie sei nicht mehr sozialdemokratisch. Jeder soll selbst feststellen, ob dieser Satz stimmt. Ich habe kein Problem mit Menschen, die die SPÖ nicht wählen. Es gibt viele Gründe dafür. Und Wahlwerbung liegt mir fern; ich halte sie für eine Beleidigung der Intelligenz. Aber eines sollte man sich selbst verbieten: mit zweierlei Maß zu messen. Wie christlich und sozial sind die Christlich-Sozialen? Wie liberal sind die Freiheitlichen? Und wie grün sind die Grünen?

Um es kurz zu fassen: Viele fordern von der Sozialdemokratie, eine Massenbewegung zu sein, der sie selbst aber nicht angehören wollen. Das ist eine bequeme und vor allem absurde Haltung. Natürlich war es zur Zeit der drei absoluten Mehrheit einfach, ein Linker zu sein, der die SPÖ kritisiert. Und natürlich gab es auch zu Recht Kritik an ihr. Man hatte nur nicht zu fürchten, dass verantwortliche Sozial- und Wirtschaftspolitik aus der Regierung verschwindet. Heute aber ist das so.

Doch auch zurzeit SPÖ-geführter Regierungen war nicht immer innerparteilicher Konsens da. Da gab es jene, die konsequente linke Politik forderten. Andere waren der Auffassung, die SPÖ müsse im Zeitalter der Liberalisierungen und Privatisierungen mit dem Zeitgeist gehen, diese Maßnahmen aber ausgewogen umsetzen. So kam es, dass mit Vranitzky innerhalb der Partei eigentlich ein Paradigmenwechsel stattfand. Heute scheint es den Menschen schwerer zu fallen, Pluralismus innerhalb der Partei zu akzeptieren. Doch sollte eine Partei, die für Demokratie und offenen Diskurs steht, diesen nicht auch innerparteilich leben?

Ich weiß, die Demokratie ist anstrengend und die Tendenz zu autoritärer Parteiführung verführerisch. Wenn man sich allerdings die politischen Ergebnisse autoritär geführter Parteien anschaut, fragt man sich, welchen Wert die One-Man-Show hat? Der Film Die Dohnal, der vor Kurzem im ORF lief, hat vielen wieder klargemacht, was wirkliche Politik ist und in welchem Zeitrahmen sie sich bewegt. Von der Familienreform Kreiskys im Jahr 1971, die den Mann als Oberhaupt der Familie abschaffte, bis zur Wegweisung (Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie im Jahr 1997) hat es sechsundzwanzig Jahre gedauert. Und es war diese Anstrengung, wie der Film zeigt, auch mit einem innerparteilichen Kampf verbunden. Ich wage zu behaupten, dass keine andere Partei in Österreich diese Anstrengung geschafft hätte.

Die wirklichen Probleme der SPÖ liegen meines Erachtens anderswo. Sie scheint die Länder Salzburg, Steiermark und Oberösterreich, wo sie vor zwanzig Jahren die ÖVP überholen oder nah an sie herankommen konnte, aufgegeben zu haben. In Graz ist die Partei pulverisiert. Zu Recht liegt dort die KPÖ vor ihr. Weil sie sich um die Menschen kümmert. Und das ist mein zweiter Kritikpunkt: Die Unterstützung von Regionen, in denen die Infrastruktur erodiert, wird von der Partei gänzlich vernachlässigt. Und zuletzt ein Punkt, der ebenso viel Widerstand finden wird, wie ihn die kämpferischen Ideen Johanna Dohnals in den Siebzigern fanden: Neu entstandene Prekariate müssen in der SPÖ ihre Vertretung finden. Es sind das Geflüchtete, Asylanten und Heimatlose und in der Wirtschaft Einzelunternehmer und Billiglöhner.

Es ist in der Politik egal, wer notwendige Maßnahmen beschließt und umsetzt. Doch die Boulevardisierung und Kommerzialisierung der Medien ist so weit fortgeschritten, dass Personaldebatten inhaltliche Diskussionen überstrahlen. Wahrscheinlich ist Österreich nicht bereit dafür, dass eine Frau eine Großpartei führt. Man muss trotz allem sagen, dass Pamela Rendi-Wagner es sich, besonders was Covid betrifft, nicht leicht gemacht hat. Sie hat auf Fundamentalopposition verzichtet und die Regierung unterstützt, wo sie es für richtig hielt, weil sie an das Wohl der Bevölkerung denkt. Sie hat aber immer Maßnahmen eingemahnt, die letztlich mit Verzögerung von der Regierung übernommen wurden. Dass Österreich mit ihr als Gesundheitsministerin mit vollem Weisungsrecht in der Pandemie jetzt viel besser dastünde, ist keine Frage.

Ich halte es hier genauso wie in der Sozialpolitik für richtig, das große Bild zu sehen. Natürlich wollen alle Menschen immer günstigere Waren, Lieferungen, Reisen, also billig konsumieren. Sie drücken aber damit die Löhne und forcieren Auslagerungen und prekäre Arbeitsverhältnisse. Sind sie selbst an ihrem Arbeitsplatz von Einsparungen, Auslagerungen und immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen betroffen, rufen sie nach sozialer Gerechtigkeit. Es muss den Menschen bewusst werden, dass sie selbst an der Schraube drehen, die sie nach unten drückt. In der Pandemie ist es ähnlich. Wer ist nicht für schnelle Öffnungen? Wer möchte nicht das Leben zurück, das wir bis Anfang März 2020 hatten? Aber mit der Gesundheit der Bevölkerung setzt man auch die Gesundheit der Kunden und Konsumenten aufs Spiel. Das kann kein Wirtschaftstreibender ernsthaft wollen.

Es gibt keine Alternative zu Rendi-Wagners Covid-Politik. Auch Schreihälse ohne Maske landen auf Intensivstationen und auch Schreihälse ohne Maske drängen sich beim Impfen vor. Als Volksvertreter eignen sie sich nicht. Jeder entscheidet selbst wie er zur Sozialdemokratie steht. Einen Ausweg, aus der schweren politischen Krise, in der unser Land steckt, wird es ohne sie aber nicht geben; von der besseren (zentralen) Abwicklung der Impfungen, gerechteren Wirtschaftshilfen und effektiverer Bekämpfung der Rekordarbeitslosigkeit ganz zu schweigen. Jetzt bringt uns nur Solidarität nach vorne.

https://zackzack.at/2021/03/27/not-a-bot-was-uns-nach-vorne-bringt