Lech mich am Arlberg
25. Januar 2025
In Erasmus von Rotterdams Das Lob der Torheit können wir lesen: Kann man […] einmal etwas wissen, so stört die Erkenntnis oft das Behagen, und schließlich ist der Mensch so angelegt, dass ihm der Schein mehr zusagt als die Wirklichkeit. Als ich diesen Satz, den ich vor vielen Jahren in einem Buch unterstrichen hatte, vor Kurzem wieder las, war ich zuerst verwundert. Ich hatte nämlich geglaubt, dass der Satz von mir ist.
Vermutlich haben jüngste Umstände mich von selbst zu einer ähnlichen Erkenntnis wie der des Erasmus geführt. Ich spreche vom Fall Benko – Fall im doppelten Sinn. In dem, was Erasmus als Behagen bezeichnet, sehe ich nämlich die selbstgerechte Art, mit der man in Österreich mit zweierlei Maß misst. Und in dem Schein, der uns mehr zusagt als die Wirklichkeit, sehe ich das Bild Benkos, das in diesem Land jahrelang entworfen wurde: das Bild eines Heiligen.
Ich erspare es Ihnen nun, seitenweise Presse-Artikel zu zitieren, die diese Heiligsprechung und Anbetung zeigen; es liegen Hunderte davon aus zwei Jahrzehnten vor. Ich möchte nur ein Zitat aus einem früheren Artikel von mir wiederholen. Die Kronen Zeitung hat bei René Benko oft sehr vorsichtig agiert; das hat damit zu tun, dass er auch einmal Anstalten machte, groß in den Zeitungsboulevard einzusteigen. Dennoch reichte sein Nimbus aus, um Michael Jeannée, den Meister des homoerotischen Liebesbriefes mit dem Beuteschema Tiroler Schulabbrecher, zu folgenden Zeilen hinzureißen:
Lieber René Benko, nun ist der Kika/Leiner Ihrer. Und damit die Insolvenz des Möbelriesen abgewendet. Und 5000 Mitarbeiter dürfen wieder hoffen. Und Sie sind mir unheimlich. Nämlich unheimlich sympathisch. Erstens Tiroler, zweitens Schulabbrecher. Als 17-jähriger Jungspund sanierten Sie in Innsbruck verstaubte Dachböden. Und heute, mit 40, sind Sie geschätzte 3,7 Milliarden Euro schwer. Dazwischen wurden Sie rechtskräftig wegen „versuchter verbotener Intervention“, vulgo Schmiergeldzahlung, zu einem Jahr bedingter Haft verurteilt. Nebbich. Zumal heute kein Mensch mehr darüber redet.
Also stand Benko laut seinen Heiligsprechern schon früher über dem Gesetz. Aber selbst als die Pleite schon da war, wurde die Kritik an unethischem und vermutlich ungesetzlichem Handeln (sonst wäre Benko jetzt nicht in Haft) als deplatzierte Häme zum Crash des Signa-Konzerns bezeichnet. So schrieb es wortwörtlich Martina Salomon im KURIER. In ihrem Artikel spricht sie exkulpatorisch von Benkos Geschäften und Visionen und von Fehlern, die passiert sind.
Keine Rede davon, dass das Geschäft, mit überbewerteten Immobilien immer höhere Kredite aufzunehmen und das meiste Geld davon in ausländischen Stiftungen in Sicherheit zu bringen, von Anfang an darauf ausgelegt war, einmal aufzufliegen. Keine Rede davon, dass der Ansatz von vornherein ein betrügerischer war.
Im Gegenteil haben jene, die schon lange vor diesen Geschäftskonstruktionen gewarnt haben, nicht nur in einem fort Kritik von bürgerlichen Medien einstecken müssen. Sie wurden, wie auch Zackzack und Peter Pilz, dafür mit Klagen eingedeckt, die existenzbedrohlich waren. In einem fort wurde Benko gottgleich verehrt. Die Vorarlberger Nachrichten berichten am 5. Jänner 2017 aus Lech: Schöne und Reiche: Arlberg besitzt nach wie große Anziehungskraft für prominente Gäste aus aller Welt. In dem Artikel heißt es unter anderem: Im Wintersporteldorado mit seinen zahlreichen Luxusherbergen tummeln sich denn auch eine ganze Reihe blaublütiger Gäste aus Königshäusern sowie Filmstars und Oligarchen. […] Während bei Immobilien-Tycoon Rene Benko und Nathalie im noblen Chalet N Formel-1-Legende Niki Lauda zu Gast ist, haben Ex-ÖIAG-Chef Peter Michaelis und dessen Bruder Peter ihr Ferienhaus Michaelis in Oberlech bezogen. […] Millionäre wie Oleg Deripaska (Nobelhotel Aurelio) oder Mercedes-Finanzvorstand Bodo Uebber und EU-Kommissar Günter Öttinger.
Ja, Lech mich am Arlberg! Die Könige der Welt waren alle da! Und Benko war dabei! Wir müssen ihn verehren, verehren, verehren. Mit dem Gesetz nehmen wir es nicht so genau. Und schon gar nicht mit der Frage, wieviel wir als Steuerzahlende für das blaue Blut und die roten Zahlen hingeblättert haben.
Nun ist René Benko in Untersuchungshaft. Aber wie es schon früher, wie etwa beim letztlich gerichtlich verurteilten Karl-Heinz Grasser, der Fall war, ist es dem österreichischen Boulevard unmöglich, den Gottesstatus, den er nun einmal vergeben hat, wieder abzuerkennen. Es ist ein nicht rückgängig machbare Heiligsprechung. Nun also müssen anderen Einwände herhalten, um eine Haft im Fall eines Gottes als überzogen darzustellen. Aus Verehrung wird Mitleid.
Conny Bischofberger am 24. Jänner 2025 in der Kronen Zeitung: Ja, hier geht es um die größte Pleite der österreichischen Wirtschaftsgeschichte. Aber auch um drei minderjährige Kinder, für die das alles grausam sein muss.
Angesichts dieser Zeilen möchte ich die Kronen Zeitung fragen:
Wo ist die Frage nach dem Kindeswohl, wenn es um jene geht, die im Zuge der Signa-Pleiten ihre Arbeitsplätze verloren haben? Wie geht es deren Kindern, die bestimmt in bescheideneren Verhältnissen aufwachsen als die Kinder von René Benko?
Wo war die Frage nach dem Kindeswohl, als die Kronen Zeitung immer wieder mit der rechten Politik von FPÖ und ÖVP für eine Sicherungshaft für Zuwanderer Werbung machte und Umfragen präsentierte, dass die meisten Österreicherinnen und Österreicher für eine solche Haft sind. Was geschähe mit den Kindern der Inhaftierten?
Wo war die Frage nach dem Kindeswohl im bekannten Fall der Abschiebung der Schülerin Tina 28. Januar 2021? Tina war bestens integriertes, in Wien geboren, ging hier zur Schule ging und hatte hier ihren Lebensmittelpunkt. Die Kronen Zeitung brachte am 6. Februar 2021 einen Artikel, dass Georgien ein gutes Schulsystem habe und Tina hochwertig ausgebildet werde. Keine Rede davon, wie es dem Kind mit dem unfreiwilligen Ortswechsel ging. Am 21. März 2022 entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass die Abschiebung rechtswidrig war. Am 23. August 2022 erlebten wir dann, wie Innenminister Karner zu Gast bei Armin Wolf in der ZiB 2, die gerichtlich festgestellte Rechtswidrigkeit hartnäckig abstritt, sich also gegen geltendes Recht stellte.
In Österreich sind nicht nur Kapital und Gerechtigkeit, sondern auch das Mitleid ungleich verteilt. Nicht jede und jeder hat darauf Anspruch. Das ist schade, denn ich wollte in diesem Artikel das Mitleid loben. Leider hat Mitleid keinen Sinn, wenn es nur einer auserwählten Schicht zukommt. Es ist ein verlogenes weil selektives Mitleid, das wir hier serviert bekommen. Die größte Pleite in der Geschichte Österreichs zu bagatellisieren ist für eine Zeitung unverantwortlich. Es ist demokratiefeindlich. Der Staat darf solche Medien, die seine Gerichtsbarkeit relativieren, aushöhlen und bekämpfen, mit keinem Cent fördern.
Das Messen mit zweierlei Maß entspricht nicht dem, was Demokratie bedeutet, und nicht dem, was in unserer Verfassung steht. Es wäre höchst an der Zeit, das in diesem Land endlich eine Kultur etabliert würde, die die Verfassung und die Gerichtsbarkeit achtet. Und es wäre an der Zeit, dass auch die Boulevardmedien damit aufhören, ihre eigene Ethik zu etablieren und Selbstjustiz auszuüben, sondern Förderer der Demokratie zu werden und nicht ihre Zertrümmerer.
P.S.: Der Satz Lech mich am Arlberg! stammt aus einem Programm meines Bruder Haimo Wisser. Ich habe ihn hier entlehnt, um ihm – hoffentlich in seinem Sinne – neue, unerwartete Bedeutung zu geben.