Die Veränderung ist beendet

Die Veränderung ist beendet

21. Mai 2019

Sebastian Kurz schwor im Oktober 2018 in Wien seine Anhänger ein: »Die Veränderung hat begonnen.« Doch die Kurz-ÖVP ist keine Partei der Mitte mehr.

Immer wieder war die ÖVP der Versuchung ausgesetzt, der vielzitierten »bürgerlichen Mehrheit« in Österreich durch eine Koalition mit der FPÖ zu einer Regierung zu verhelfen. Gerade erleben wir zum dritten Mal das Scheitern dieser Koalition und müssen uns fragen: Handelt es sich um eine »bürgerliche« Mehrheit? Denn in diesen Tagen wird auch klar: Die ÖVP ist weit nach rechts gerückt.

Der erste ÖVP-Obmann, der diese Koalition wollte, war Alois Mock im Jahr 1986. Der erste Versuch scheiterte aber am ÖVP-Parteivorstand. Die bürgerliche Mitte war noch intakt. Mit Wolfgang Schüssel kam es ab 2000 zur ersten Realisierung dieser Koalition. Es folgten zwei Legislaturperioden voller Absurditäten, die darin gipfelten, dass Schüssel nach seinem Abgang der ÖVP vorschlug, den Freiheitlichen Karl-Heinz Grasser zu seinem Nachfolger zu machen, was selbst dem Parteivorstand zu viel war. In dieser Phase wurde die ÖVP stark beschädigt: durch Populismus, durch Korruption, durch mangelnden Mut, auf ihrem Programm zu beharren.

Während der kurzen Zeit der kurzen Regierung ist die ÖVP der FPÖ immer ähnlicher geworden. Es gibt Menschen, die behaupten, die ÖVP würde die FPÖ »entzaubern«. Ein Blick auf die Rhetorik der ÖVP im EU-Wahlkampf macht klar: Es ist genau umgekehrt.

Man muss sich fragen: Was ist an der Mehrheit bürgerlich? Die rechtspopulistische, antieuropäische Politik der ÖVP, die Untergrabung von Demokratie und Pressefreiheit lassen jede bürgerliche Programmatik vermissen. Die einst mächtigen Bünde der ÖVP spielen keine Rolle mehr, die Tagespolitik besteht aus Ankündigungen, sachliche Substanz fehlt. Stattdessen werden Posten besetzt und Medien unter Druck gesetzt, selbst der ORF, den die ÖVP mit der FPÖ einmal durch das Rundfunkvolksbegehren befreit zu haben meinte, soll seiner gewonnenen Freiheit wieder beraubt werden. Die ÖVP wird seit anderthalb Jahren von der Anbiederung an den Rechtspopulismus der FPÖ getrieben. Die Finanzierung ihrer immensen Werbebudgets ist dubios und aufklärungswürdig.

Das alte Argument, man wolle alle Optionen offenhalten, ist fadenscheinig. Sebastian Kurz hat die Türen zur SPÖ zugeschlagen. Die Rhetorik seiner Gefolgsleute (Köstinger, Edtstadler, Blümel und andere), die schon aus dem Rückenmark Hass und Häme gegen die Sozialdemokratie versprühen, lässt keine Annäherung erwarten. Das Dauerfeuer, mit dem das Schlagwort Silberstein von Social Bots elektronisch, von Human Bots mechanisch wiederholt wird, ist zum Hintergrundrauschen der Tagespolitik geworden. Wäre dieses Rauschen weg, würde man erst bemerken, wie sich Stille, Ehrlichkeit und Intelligenz in der Politik anfühlen. Eine Mitte wäre zwischen links und rechts. Die Kurz-ÖVP ist keine Mitte mehr und will es auch nicht sein.

Wenn es in Österreich eine bürgerliche Mitte gibt, wird sie sich wohl eine neue Partei suchen müssen. Das erwartbare Ende der Regierung Kurz – die ÖVP bringt ja kaum Legislaturperioden regulär zu Ende – kommt zu spät, und es ist bestürzend, welcher Umstände es bedurfte, um aus dem Augenscheinlichen die Konsequenzen zu ziehen.

Eine Politik der bürgerlichen Mitte würde bedeuten, dass Demokratie, Pressefreiheit und Menschlichkeit das oberste Gebot politischen Handelns sind. Eine Politik der bürgerlichen Mitte müsste sich vom rechtspopulistischen Wettern gegen die Europäische Union verabschieden und diese besser gestalten, wo sie doch dort über große politische Macht verfügt. Und (die Spatzen mögen mir meine Ausdrucksweise verzeihen): Eine Politik der bürgerlichen Mitte muss erkennen, was die Spatzen seit 1986 von den Dächern pfeifen, was also sogar in ein Spatzenhirn passt: dass die FPÖ nichts regierungsfähig ist.

In einigen Jahren, wenn die ÖVP den vierten Anlauf zum Scheitern nehmen wird, werden viele an das frühere Scheitern erinnern. Helfen wird es wohl nichts.

https://www.derstandard.at/story/2000103505827/tuerkis-blaues-scheitern-die-veraenderung-ist-beendet