Proloshirt XXL

Proloshirt XXL

17. Januar 2024

Vor ein paar Tagen posteten eine Journalistin und ein Journalist (nennen wir sie A. und B.) einer Wochenzeitung (nennen wir sie C.) auf der Social-Media-Plattform eines rechtsradikalen Republikaners (nennen wir sie X.) einen Beitrag zu einer Angelegenheit, die das Österreich, das von Inflation, Teuerung, Arbeitsmarktkrise, verfehlter Bildungs- und Sozialpolitik und bevorstehendem Kollaps von Pflege- und Gesundheitswesen zerrüttet ist, so richtig aufregt: das Poloshirt, das ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian beim Besuch des Bundespräsidenten trug.

Fast zeitgleich setzte der Journalist (nennen wir ihn S.) eines reißerisch, rechtspopulistischen Onlinemagazins (nennen wir es XX.) inhaltlich dasselbe Posting ab. A. und B., die vielen in Österreich unverständlicherweise als Linke gelten, befinden sich offensichtlich in inhaltlichem Einklang mit den Rechten. In Wahrheit sind A. und B. Sympathisanten der Grünen und Apologeten der schwarz-grünen Koalition, also sagen wir bürgerlich, mitte-rechts. Heute würden sie frühe Grüne, die im Pullover im Parlament erschienen sind, in der Luft zerreißen: Schatzi, was soll ich heute im Plenum anziehen?

Ich bespreche nicht gerne Social-Media-Postings. In diesem Fall aber halte ich gerade das Posting für bedeutender, als wenn in der Angelegenheit ein Artikel verfasst worden wäre. Denn das Posting zeigt, dass Häme gegen Sozialdemokraten und vor allem Arbeitnehmervertreter inzwischen schon aus dem Rückenmark der Bourgeoisie kommt, ohne vorher bewusst reflektiert worden zu sein.

Noch bemerkenswerter ist dies: A. und B., die gerne und wiederholt gegen Herbert Kickl auftreten, arbeiten hier mit seiner Methode: Aufgrund einer Oberflächlichkeit, die nichts mit politischen Inhalten zu tun hat, wird Häme gegen eine Person versprüht. Der Ariel-Sager war nichts anderes. Name, Kleidung, Ikea-Möbel – Dinge, die nichts mit politischer Auseinandersetzung zu tun haben, werden zum Gegenstand der Hetze. Untergriffig, menschenverachtend, gegenstandsfremd.

Heute also stört ein Proloshirt die gelangweilte Bourgeoisie. Nun, Österreichs Sozialdemokraten und vor allen seine Arbeitnehmervertreter sind diese Häme gewohnt. Sie prägt dieses Land, dessen Demokratisierung und Modernisierung ohne die Geschmähten und Verspotteten nicht stattgefunden hätte. Doch die Ausmaße, die die Häme annimmt, erinnern an die Dreißigerjahre. Und die Häme kommt heute auch und vor allem aus durchaus gebildeten Zirkeln der Bourgeoisie. Das gibt zu denken. Vor allem wenn diese in den Medien so tun, als wollten sie die FPÖ in einer Regierung verhindern, müssen sie sich die Frage gefallen lassen, wie das ohne Sozialdemokratie bewerkstelligt werden soll? Vor allem, wenn sie beständig von einer Spaltung des Landes sprechen, sollten sie Arbeitnehmer und ihre Vertreter nicht verhöhnen.

Die Wochenzeitung C. hat auch ein tägliches E-Mail, das frühmorgens bei mir eintrudelt. Ich habe es früher gerne gelesen, weil mir die Idee, sich am Tagesanfang in ein paar Minuten einen Überblick über die Nachrichten zu verschaffen, gefällt. Im Falle der Wochenzeitung C. muss ich aber leider feststellen, dass ihre Meldungen unter ständiger Boulevardisierung und unter ständigem Sozialdemokratie-Bashing leiden. Wo der österreichische Boulevard seine Schlagzeile mit Illegaler Ausländer stiehlt Apfel beginnt, beginnt die Zeitung C. mit SPÖ-Politiker verschenkt Äpfel an Parteifreund.

Nun, alle wollen XXL werden. Aber Boulevardisierung hat ihren Preis. Der Pawlowsche Paul-Schulmeister-Reflex, der schon in meiner Jugend ausgeprägt war, als der langjährige Deutschland-Korrespondent des ORF jede Berichterstattung mit dem Satz Die SPD liegt am Boden begann, beginnt auch hier zu wirken.

Wie ich in meinem Artikel letzte Woche versucht habe darzustellen, ist die Boulevardisierung und die Hochjubel- und Verdammungskultur der österreichischen Medien eine Gefahr. Es ist ein eine Gefahr für die Demokratie, wenn man Feindbilder schafft und wenn man bedingungslos Häme gegen den politischen Gegner versprüht. Auch Ungenauigkeit ist im Journalismus nicht tragbar. Wenn dieser Tage eine Zeitung über die Arbeiterkammer als roten Riesen schreibt, dann sind das Fake-News, denn in der Arbeiterkammer gibt es Wahlen. Wenn Journalisten vom Land Niederösterreich und zwei Zeilen weiter vom roten Wien schreiben, dann suggerieren sie damit, dass in Wien keine demokratischen Wahlen stattfinden, sondern die Roten automatisch regieren.

Bedenklich ist, wie die Methoden Haiders, Straches, Kurz‘ und Kickls in die Mitte der Gesellschaft gewandert sind. Man wundert sich heute gar nicht mehr darüber, sondern belustigt sich über Abschätzigkeit, Bashing und Häme in Netz. Im genannten Fall belustigt sich die gebildete Bourgeoisie über Methoden, die sie bei Herbert Kickl sofort abscheulich fände. Daran sehen wir die Bigotterie, die Doppelmoral, die die Bourgeoisie vom klaren Denken abhält.

Die Bürgerlichen müssen sich entscheiden: Sind sie wirklich gegen Rechts und damit gegen einen autoritären Staat? Dann muss sie sich mit anderen Demokraten im Land verbünden, um die Demokratie zu retten – auch mit der organisierten Arbeiterschaft und den Sozialdemokraten. Oder schimpfen sie nur auf die FPÖ, weil sich das in ihren Kreisen halt so gehört, finden aber gleichzeitig auch, dass Gewerkschafter »Beidln san«, wie es ein FPÖ-Politiker einmal im Nationalrat ausdrückte.

In Österreich wird es Tag für Tag, Woche für Woche schwerer, Zeitungen zu lesen – vor allem die, die man einmal geliebt und oft an einem Tag ausgelesen hat. Es ist ein schwerer Kampf mit sich selbst, sich von den Verbitterten nicht verbittern zu lassen. Inzwischen bin ich sogar der Meinung, dass der autoritär regierende Kaiser Franz Josef toleranter war als die ÖVP-Grün-Sympathisanten von heute, die – das ist schon klar – große Angst vor den nächsten Nationalratswahlen haben.

Die folgende Anekdote hat angeblich Karl Seitz in Schweden, wo man ihn nach seiner Inhaftierung im Konzentrationslager nach dem Krieg ein wenig aufzupäppeln versuchte, Bruno Kreisky erzählt: Kaiser Franz Josef wollte einen Sozialdemokraten kennenlernen, um zu sehen, was das für ein Art Mensch ist. Die Partei schickte also Karl Seitz auf diese ungewöhnliche Mission. Doch Seitz hatte keine Uniform, da er nie beim Militär gewesen war, und weigerte sich, Frack zu tragen. Die Berater des Kaiser schoben das Treffen aufgrund der unlösbaren Kleidungsfrage immer wieder hinaus, bis der Kaiser das erfuhr und sinngemäß gesagt haben soll: »Dann soll dieser Seitz halt so kommen, wie er angezogen ist.«

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