Weltideologie Dagegensein

Weltideologie Dagegensein

13. Februar 2025

Protestbewegungen haben gegenüber gestaltenden und regierenden Bewegungen Vorteile: Ihre heterogene Zusammensetzung ist irrelevant, solange sie nur ein Ziel haben. Ihr genereller Konsens ist unwichtig, solange sie gemeinsam gegen eine bestimmte Sache auftreten.

Nun gibt Protest, der sich klar gegen eine bestimmte Sache ausspricht. Das ist demokratisch wichtig und hat den Vorteil, dass uns solchen Bewegungen mit ihren Argumenten beliefern und damit zum Diskurs beitragen. Es gibt aber auch diffusen Protest, der weder einen bestimmten Gegner noch ein Ziel zu haben scheint. Dazu gehört das Jahrtausende alte generalisierende Feindbild der »Mächtigen« oder derer »die, die uns sagen, was zu tun ist«.

Dieses Feindbild kommt aus der Zeit von Monarchien und des Feudalismus. Die Demokratie hat Protest nämlich legalisiert und gibt ihm Artikulationsfreiheit. Das schwächt aber das Ressentiment diffusen Protests gegen politische Macht nicht ab. Es ist ein Symptom demokratischer Schwäche, wenn ein Regierungschef in unserem Land den meisten Menschen immer noch als Herrscher gilt und nicht als ihr Angestellter; was er in einer Demokratie in Wahrheit ist.

Symptomatisch war es früher, als es noch Telefonzellen gab, dass diese meist bald nach ihrem Aufstellen zerstört, ihre Scheiben eingeschlagen, die dortigen Telefonbücher zerrissen oder gestohlen wurden. Jemand zerstört etwas – das allen, also auch ihm –

gehört. Exakt auf diese Weise macht der Faschist den demokratischen Staat kaputt. Der Staat, dessen Teil er selbst ist. Er ist angeblich wütend auf die Mächtigen und möchte doch nur selbst mächtig sein. Wenn er aber an der Macht ist, darf es keine Demokratie und somit auch keine Opposition und keine Proteste gegen die Macht geben. Das ist die klare und historische Vorgehensweise des Faschismus.

Was hat Herbert Kickl in den letzten Wochen getan? Nichts. Er zerdrischt die Telefonzelle Österreich, nur um nach mehr Ordnung und härteren Strafen für die, die Telefonzellen zerdreschen, zu rufen. Kickl ist, wie alle Neo-Faschisten, ein Staatsfeind, der sich als Patriot darstellt. Aber er tut nichts für sein Land. Er verlangt im Gegenteil, dass sein Land alles für ihn tut. Das ist das Wesen des Faschismus.

Zur Zeit der Monarchie und im Nationalsozialismus war Protest ebenso nur unter Lebensgefahr möglich, wie im heutigen Russland Putins nur unter Lebensgefahr möglich ist. Die Demokratie hat Protest legalisiert und sanktionslos möglich gemacht, weil sie ihn als legitime Stimme akzeptiert. Er hat im Spiel ihrer politische Kräfte seinen Platz, wenn alle Kräfte einem demokratischen Konsens verpflichtet sind. Seit 1989 aber geht dieser Konsens nach und nach verloren. Der Kapitalismus ist im Westen hegemonial geworden. Die kapitalistischen Wirtschaften blicken mit Neid auf Diktaturen und ihre effiziente, autoritäre Durchsetzungskraft.

Das wollen die westlichen Kapitalisten auch und sie brauchen darum Bewegungen, die sich gegen den Staat und vor allem die Demokratie wenden. Sie finden entsprechende Bewegungen vor und finanzieren sie. Aber der historische Faschismus unterscheidet sich in einer Sache wesentlich vom Neo-Faschismus heutiger Prägung: Ersterer konnte auf die bittere Armut der Massen benutzen. Der Neo-Faschimus der Trumps, Kickls, Orbáns, Le Pens u.v.a. kommt aus der Wohlstandsgesellschaft.

In der Wohlstandsgesellschaft müssen andere Motive des Dagegenseins entwickelt werden. Man gewinnt sie auf reaktionäre Weise, indem man sich den Zielen anderer entgegestellt; denn der Faschismus kann allein nicht existieren und ist rein auf Zerstörung aus. Und so sind auch alle bisherigen faschistischen Regime geendet: in Zerstörung.

Das Dagegensein richtet sich also gegen Umweltschutz, Gerechtigkeit, Fortschritt, Beschäftigung, Umverteilung, Infrastruktur und Demokratie. Die Demokratie erlaubt Diskurs und damit auch Widerspruch. Sie erfordert die Kontrolle der Regierenden. Ein frühes Anzeichen für autoritäre, anti-demokratische Gesinnung sind somit Angriffe auf den Parlamentarismus, die Justiz und jene Presse, die frei über die politischen Vorgänge berichtet.

Hinter der in der Demokratie grundlegenden Gewaltenteilung steckt die Idee der Gleichheit. Diese Gleichheit ist ein Ideal. Sich diesem Ideal anzunähern verlangt jahrezehntelange politische Anstrengungen und endet in Wahrheit nie. Wir alle wissen, dass die Ungleichheit von Frau und Mann in der Gesellschaft eine Ungerechtigkeit ist und immer noch existiert. Wir wissen, dass nur soziale Gleichheit Frieden bringen kann. Wir sehen, dass eine gerechte Welt die Erhaltung der Lebensräume und einen sorgsamen und regulierten Umgang mit ihren Ressourcen braucht. Je mehr die Weltbevölkerung zunimmt, desto dringlicher werden diese Notwendigkeiten. Kurzum: Die Ausbeutung von Mensch und Natur muss beendet werden, die Gleichheit aller Menschen und die Kontrolle der Weltbevölkerung müssen in Angriff genommen werden.

Nichts ist nun logischer, als dass die kleine Schicht derer, die über einen Großteil des Kapitals auf der Welt verfügt, die Auswirkungen eines solchen Handelns fürchtet, weil sie meint, dass das tägliche Anwachsen ihres Reichtums darunter leiden würde. Da es aber eben eine kleine Schicht ist, braucht sie eine große Masse hinter sich. Diese Masse kann nicht wirklich solidarisch mit den Reichen und Wohlhabenden sein, denn sie ist selbst alles andere als reich und wohlhabend. Also muss man sie mit einer Finte dazu bringen, politisch den Wohlhabendsten zuzuarbeiten: Man stachelt sie zum Dagegensein an. Sie sind gegen gute Gesundheitsversorgung, gegen gerechte Umverteilung, gegen den Schutz ihrer Lebenswelt, gegen demokratische Kontrolle. Sie sind für nichts. Sie sind DAGEGEN.

Nichts ist politisch mühsamer gewesen als die Durchsetzung der Demokratie. Sie ist auch längst nicht abgeschlossen. Es gibt sehr viel zu tun. Es ist heute an der Zeit, die Demokratie zu verteidigen. Das ist aber ein leeres Schlagwort, solange man dazu keine konkreten Pläne hat. Und wir wissen: Die Entkoppelung der Politik vom Kapital ist eine unerlässliche Bedigung für die Erhaltung der Demokratie. Von Kapitalismus und einer nicht mehr argumentierbaren Kapitalkumulation geht der wahre Wille zur Zerstörung der Demokratie aus. Die Kickl und Trumps und Orbáns sind sekundäre Phänomene. Sie werden überall auftauchen, wo der Boden für eine Oligarchie der Reichen bereitet wird.

https://zackzack.at/2025/02/13/weltideologie-dagegensein