Das Außen-I

Das Außen-I

3. April 2021

Hätte Amanda Gorman ein Gedicht über Österreich geschrieben, hieße es Der Sumpf, in dem wir waten. Während die innenpolitischen Sümpfe von Untersuchungsausschüssen und Aufdeckungsjournalisten erst vermessen werden müssen, weitet der Kanzler persönlich unsere Sümpfe auf europäisches Gebiet aus. Sebastian Kurz hat von seinem erfolglosen Jus-Studium zumindest genug behalten, um Richter zu spielen und andere schuldig zu sprechen. Mit bekannt xenophobem und islamfeindlichem Unterton stellte er bei der Impfstoffverteilung der EU einen »Basar« fest. Die Kronen Zeitung lieferte prompt die gewünschte Schlagzeile, die EU habe bei der Impfstoffbeschaffung »versagt«. Es zählt natürlich nicht, dass dabei ein Österreicher federführend war und dass die österreichische Regierung ihr Kontingent gar nicht voll ausgeschöpft hatte.

Der Kanzler betreibt das Feilschen, vor dem er gewarnt hat, nun selbst. Er droht mit Veto und setzt nun nicht nur die Gesundheit der Österreicherinnen und Österreicher, sondern auch die von Menschen in der gesamten Union aufs Spiel.

Gerade in diesen Tagen, in denen die Schmid-SMS veröffentlicht wurden, liest man von ÖVP-nahen Kommentatoren, parteipolitischen Postenschacher habe es immer gegeben. Das sei alles »ganz normal«. Ungerne werden sie daran erinnert, dass zur Zeit der absoluten Mehrheit der SPÖ der ÖVP-Politiker Stephan Koren Präsident der Nationalbank wurde und alle drei Außenminister parteilos waren: Rudolf Kirchschläger, Erich Bielka und Willibald Pahr. Letzteres, also ein parteiloser Außenminister und ein parteiloser Minister für die EU, wäre bei Kurz’ mangelhafter Diplomatie dringend notwendig. Denn Österreich watet im Sumpf und droht darin zu versinken.

Auch die ÖVP-Europaabgeordneten geben ein sonderbares Bild ab. Mit Ausnahme von Othmar Karas, der inzwischen so etwas wie ein Oppositioneller in den eigenen Reihen ist, wollte man den Verbleib der FIDESZ in der EVP bewirken. Das ist doch eine sehr bemerkenswerte Wendung nicht nur gegen die Demokratie, sondern auch gegen die Mehrheit in jenem europäischen Zusammenschluss christlich-sozialer Parteien, deren stolzer Vorsitzender einst der frühere ÖVP-Obmann Alois Mock gewesen ist. Auch gegen Kinderarbeit und moderne Sklaverei wollten die ÖVP-Abgeordneten (wieder mit Ausnahme von Othmar Karas) nicht stimmen und sehen damit sich im Europaparlament zusehends isoliert. Und man fragt sich, ob die ÖVP in Europa nicht längst zum rechten Rand gehört.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die beiden Parteien, die den EG-Beitritt (wie es damals hieß) schon in den späten Achtzigerjahren vehement forderten, mit Anti-EU-Politik Stimmung machen. Die FPÖ wandte sich schon Mitte der Neunzigerjahre vor der Volksabstimmung gegen den Beitritt. Was von der ÖVP in Zukunft zu erwarten ist, weiß man nicht. Die jetzige Linie ist ein Zickzackkurs, den man, wenn man freundlich sein möchte, als populistisch bezeichnen kann.

Schon im Kabinett Kurz I gab es seltsame Misstöne. Etwa als Gernot Blümel mit dem Sager aufhorchen ließ, die EU solle »die Finger von den Pommes lassen«. Was damit gemeint war, konnte er selbst nicht genau benennen. Auch die 2019 geforderte »Streichung« von 1.000 EU-Verordnungen, die ebenfalls niemals benannt werden konnten, musste als rein propagandistischer Schachzug gewertet werden. Ich bin ganz und gar dafür, die EU dort zu kritisieren, wo sie dringenden Reformbedarf hat. Da gäbe es nicht wenig zu tun. Doch die Kritik der ÖVP besteht immer nur aus Nebelgranaten, deren einziges Motiv innenpolitische Profilierung ist.

Dass Österreich seine Bürger zur Selbstisolation aufruft, während es sich selbst in der EU isoliert, ist bitter. Man würde meinen, die Bekämpfung der Pandemie sei eine zu ernste Sache, um sie der populistischen Profilierung einer Partei zu opfern. Doch wie Cathrin Kahlweit unlängst in der Süddeutschen Zeitung feststellte: Sebastian Kurz agiert als Parteipolitiker, nicht als Staatsmann. Schlanker und griffiger kann man es wohl kaum ausdrücken.

Verantwortung bedeutet auch, Fehler einzugestehen. Es wäre an der Zeit, dass die Medien in Österreich sich ihrer Aufgabe als vierter Gewalt besinnen und die Menschen in diesem Land informieren, anstatt auf großzügige Medienkooperationen der Regierung hoffend Sebastian Kurz zu loben. Er ist kein Mann des Zusammenhalts; davon können alle Parteien in Österreich, auch die ÖVP, ein Lied singen.

Dabei ist außen wieder in. Seit den Schmid-SMS sorgt endlich nicht mehr das Binnen-I für Diskussionen, sondern das Außen-I. Es wird von Kurz’ Konsorten verwendet, um beispielsweise den früheren Kurier-Chefredakteur Helmut Brandstätter als Brandi zu bezeichnen und damit wohl ein wenig kleiner zu machen. Es erspart auch das Schreiben komplizierter Namen, denn manche davon kriegen die Herren nicht hin. So wird Manfred Juraczka in den SMS Juratzka geschrieben. Da wäre Juri besser gewesen. Wenn Kurzi und Schalli Außen- und Europapolitik machen, werden wird den Kürzeren ziehen. Immerhin ist Kurz aber der einzige, dessen Name durch das Außen-I verlängert wird: Kurzi.

Ob der Kanzler die Tragweite seines Scheiterns versteht, bleibt unklar. Die Österreicherinnen und Österreicher ahnen bereits, dass die Pandemie ihnen nicht nur dieses Jahr vermiesen wird, sondern eventuell auch das nächste. Zur Unsicherheit kommt die Angst um das wirtschaftliche Überleben. Die Menschen haben das Recht zu erfahren, wie die Regierung das schnellstmögliche Impfen der gesamten Bevölkerung umsetzen will.

Womöglich werden aufgrund der steigenden Anzahl von Virusmutationen bald weitere Impfungen nötig werden. Wir können nicht für immer im Ausnahmezustand leben. Es wäre so einfach, die Covid-Maßnahmen aus der Parteipolitik herauszunehmen und alle Fraktionen bei der Corona-Politik einzubinden. Stattdessen verkommen die Regierungspressekonferenzen, die die einen nur noch belächeln, die anderen zu Recht langweilig finden, zu Shows ohne sachpolitische Essenz.

Zur Zeit der Regierung Klaus unterstützte die SPÖ in der Opposition die Außenpolitik der ÖVP nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. Der Gesandte in Prag, Rudolf Kirchschläger, wurde im Jahr 1970 Außenminister der Regierung Kreisky und 1974 von der SPÖ als Präsidentschaftskandidat aufgestellt. Die Haltung Kreiskys entsprach der Idee der bipartisan policy, deren Erfolg er beim Abschluss des Österreichischen Staatsvertrages miterlebt hatte. Das war verantwortliche Politik, die österreichische Geschicke über Parteipolitik stellte. Diesen Geist brauchen wir wieder.

Ein weiteres Manko ist die zum Teil fehlende, zum Teil nur bruchstückhafte und oft unwahrhaftige Berichterstattung österreichischer Medien über Vorgänge auf europäischer Ebene. Dort werden aber für uns wesentliche Entscheidungen getroffen. Und vielleicht sollten die Parteien auch endlich aufhören, die Wahlen zum EU-Parlament als Entsorgungsmöglichkeit für ungeliebte Parteikollegen und als Stimmungsbarometer für die kommende Nationalratswahl zu betrachten. Wer kennt schon Berni, Mandi, Sagi, Schmiedti, Thali und Winzigi? Und was können die?

https://zackzack.at/2021/04/03/not-a-bot-das-aussen-i