Hatschi Bratschis Nazibande
24. März 2023
Am 15. März 2020 schrieb FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl in einer Presseaussendung zu den Corona-Maßnahmen: »Die FPÖ wird die Maßnahmen der Regierung mittragen, aber auch weitergehende eigene Anträge einbringen.« Der Text ist zu lang, um ganz zitiert zu werden, man kann ihn aber unter diesem Link ohnehin online lesen. Kickl lobt darin die Regierung und ihre Maßnahmen, kündigt an, selbst weiterreichende Maßnahmen einzubringen und beschwört »das große Gemeinsame, das jeder in diesen Tagen spüren und erleben könne, egal wo man hinschaue. Dies verbinde auch alle Parteien im Hohen Haus.«
Im Text der niederösterreichischen Landeshymne heißt es:
Getreu dem Geist der Ahnen,
wir schaffen uns das Brot
und halten hoch die Fahnen
blau-gold und rot-weiß-rot.
Der Text der Hymne stammt vom Nationalsozialisten Franz Wilhelm Ginzkey, dem Autor von Hatschi Bratschis Luftballon. Ja, der Geist der Ahnen regiert noch heute, blauer und goldener denn je. Der Fehler der österreichischen Öffentlichkeit, der Presse und der liberalen und linken Parteien war und ist der gleiche: Sie lassen zu, dass die angeblich Christlich-Sozialen gegen Kommunisten und Sozialdemokraten, das »rote Gsindl«, gegen Liberale und Intellektuelle kämpfen, sie vertreiben, beschießen und hinrichten, und so den Nationalsozialisten den Boden bereiten.
Es ist im Bund im Jahr 2000 und 2002 und wieder im Jahr 2018 passiert. Es ist in vielen Bundesländern passiert. Und man fragt sich heute, warum plötzlich schon wieder viele darüber schockiert sind, dass ÖVP und FPÖ eine Koalition bilden. Beide Parteien haben ihre Geschichte nie aufgearbeitet und nie aufarbeiten wollen; die Landeshymne Niederösterreich, die bekannten Liederbücher, die Museen zur Verherrlichung von Diktatoren und ihre immer noch totalitäre und revisionistische Sprache (z.B. »Selbstausschaltung der Parlaments«) geben davon Zeugnis. Große Austrofaschisten und Nationalsozialisten stammten aus Niederösterreich und lebten ihre Ideologie nach 1945 ohne Hehl weiter.
Die ÖVP und ihre Vorgängerparteien haben die Rechtsradikalen stets geschont, obwohl es ein Nationalsozialist war, der Dollfuß ermordete. Und hoch heute nimmt die ÖVP Schmähungen durch Politiker der FPÖ hin: Haider bezeichnete Wolfgang Schüssel als Strolchi, Strache Sebastian Kurz als Ohrwaschelkaktus und Landbauer Mikl-Leitner als Moslem-Mama. Würde ein Sozialdemokrat so etwas sagen, würde die ÖVP wieder einmal die Abrüstung der Sprache fordern. Doch da es aus dem rechtsextremen Eck kommt, ist es Liebe.
Gekommen ist es zu dieser Hatschi-Bratschi-Regierung durch zwei Kehrtwendungen, die zugleich Radikalisierungen waren. Die FPÖ, die ja noch in der letzten Regierung berittene Polizei einführen wollte, um Demonstranten besser einkesseln zu können, entdeckte plötzlich ihren Drang, die Menschen auf die Straße zu treiben.
Zuerst hatte die FPÖ noch strengere Corona-Maßnahmen gefordert, doch sie wurde unbeliebter und brauchte etwas, um gegen die anderen Parteien argumentieren zu können. Sie nahm einen Hundertachtziggradschwenk vor. Das hatte sie schon zuvor in Fragen des EU-Beitritts, der Neutralität, der NATO, bei CETA, beim Bundestrojaner, bei direkter Demokratie und in vielen anderen zentralen Fragen gemacht. Plötzlich präsentierte sich die FPÖ als Partei der Maßnahmen-Gegner, Impf-Gegner und Corona-Leugner; natürlich erst, nachdem ihre Bürgermeister sich in ihrer Heimatgemeinde beim Impfen vorgedrängt hatten.
Seither bekämpfen FPÖ und Corona-Leugner in erstaunlich harmonischem Einklang mit der Polizei, in deren Reihen es sogar Impfpassfälscher gibt, den österreichischen Staat und die Rechtsstaatlichkeit. Diese Verwandlung einer bis dahin rechtspopulistischen Partei in eine offen staatsfeindliche war radikaler als unter Haider und Strache. Nun wurde nicht mehr nur gegen Randgruppen mobil gemacht, unter dem Vorwand Rechtsstaat und Sozialstaat zu schützen, die beide mühsam gegen ihre Stimmen hatten errichtet werden müssen. Nun wurden jene, die für Gesundheit, den Schutz der Bevölkerung und den Erhalt von Infrastruktur arbeiten, offen attackiert.
Der Opportunist Kickl hat eine wütende Meute gefunden, um Österreich zu zerdreschen und Österreicherinnen und Österreicher zu attackieren, ja physisch anzugreifen. Da geht es nicht um alternative Medizin oder Demonstrationsfreiheit (die ja tätliche Angriffe auf Ärzte und Krankenschwestern nicht rechtfertigt). Da geht es nicht um Reparation. Da geht es um die Demolierung des österreichischen Staates.
Diese staatsfeindliche Meute, die in der Mehrheit auch den Angriff auf das Capitol in den USA begrüßt, hat ÖVP-Chef Nehammer beeindruckt. Daher hat er vor kurzem in einer Programmrede die Ausrichtung seiner Partei und ihre Koalitionsvereinbarung mit den Grünen für nichtig erklärt. Das ist die zweite Kehrtwendung und sie ist nicht umsonst kurz vor der Bildung der faschistischen Regierung in Niederösterreich erfolgt. Die ÖVP ist nun eine Klimawandelleugner-Partei, sie ist eine Corona-Leugner-Partei und sie wird bald auch eine Pro-Putin-Partei werden und für den Austritt Österreichs aus der Europäischen Union werben. Es stört sie auch nicht, dass die neue faschistische Regierung in Niederösterreich mit der demokratischen Verfassung nicht in Einklang steht; selbst Ministerin Edtstadler musste das zugeben.
In der ÖVP regt sich wenig Widerstand. Gut, sie besteht nicht zu hundert Prozent aus Faschisten. Da ist Andrea Kdolsky, die aus der Partei ausgetreten ist. Hut ab! Und da ist der ewig mahnende Othmar Karas, der allerdings kein Gehör in der Partei findet und auch auf seinen Posten bei der ÖVP nicht verzichten will. Aber das ist leider viel zu wenig.
ORF-Politanalytiker Peter Filzmaier, der auch der Betreuer von ÖVP-Chef Karl Nehammers »wissenschaftlicher Arbeit« mit dem Titel Strategie und Politische Kommunikation der Volkspartei Niederösterreich im Landtagswahlkampf 2013 an der Donau Universität Krems war, sagte dem Standard, die ÖVP »macht nur die Tür auf, um von rechts Leute hereinzuholen«. Verharmlosung scheint keine Obergrenze zu kennen. Aber selbst wenn der innerparteiliche Widerstand größer wird, wird die ÖVP und ihre Machtzentrale in Niederösterreich Wähler und Mitglieder, die in der Mitte wegfallen, durch Wähler und Mitglieder vom rechten Rand ersetzen. Und die österreichische Presse wird es weiter mit Verharmlosung und ein paar zahnlosen Mahnrufen kolportieren, die aber ohnehin sofort nach Links austeilen und damit die austrofaschistische Taktik wiederholen werden.
Und immer noch gelten alle, die seit Jahrzehnten wirklich mahnen, als Alarmisten, Schreihälse, Radikale und bösartige Menschen. Und immer noch gilt die Wahrheit den meisten Österreicherinnen und Österreichern nicht als zumutbar, sondern als Beleidigung. Und immer noch vergisst man, was der angeblich so brillante Karl Kraus in seiner angeblich so brillanten Weitsicht nicht vorausgesehen hatte: den Holocaust. Und immer noch muss man daran erinnern, dass der große Egon Friedell sich von allen Freunden nicht zur Flucht aus Wien überreden ließ. Als er am 16. März 1938 von zwei SA-Männern abgeholt werden sollte, sprang er aus dem Fenster seiner Wohnung im dritten Stock und war tot.
https://zackzack.at/2023/03/24/aufwachen-hatschi-bratschis-nazibande