Taub

Taub

 

Zu einer nächtlichen Feier auf einem abgelegenen Bauernhof hatte man auch den Musiker Maier eingeladen, der sich bei der Anreise mit Wattepfropfen in den Ohren gegen die Zugluft zu schützen versuchte und eine Stunde zu spät eintraf. Maier ahnte nicht, dass man ihm, der panische Angst um seine Ohren und sein Gehör hatte, dort einen bösen Streich spielen sollte. Die anderen Gäste hatten abgesprochen, um exakt 23 Uhr 23 Minuten und 23 Sekunden die Stereoanlage abzudrehen, bei Gesprächen nur mehr den Mund zu bewegen und alles, was Geräusche verursachen könnte, zu unterlassen. Maier war sofort davon überzeugt, ertaubt zu sein und lief Beethovenschicksal schreiend durch die Bauernstube. Die Krankenschwester Florence versuchte Maier zu beruhigen. Sie klopfte mit Löffeln und Messern auf Töpfe, schnippte mit den Fingern und sang ein Matrosenlied nach dem anderen, aber weder Geräusche noch Gesang noch das Gelächter der Partygäste, das sich allmählich mit der bereits heiser werdenden Stimme von Florence vermengte, konnten Maier von der festen Überzeugung abbringen, taub zu sein. Und noch heute behauptet Maier standhaft, seit damals sehr, sehr schwer zu hören.

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Diese Geschichte ist gegebenenfalls nicht wahr. Aber es lohnt, nicht nur wahren Geschichten Aufmerksamkeit zu zollen; ebenso interessant ist es, wie eine nicht wahre Begebenheit erzählt wird.

(István Örkeny: Minutennovellen)

Ja, soll Konrad zum Baurat gesagt haben, sagt Wieser, über das Gehör gibt es keine aufschlußreiche Schrift, die einzige, ehrliche über das Gehör, die einigen Wert besitzt, ist dreihundert Jahre alt, alles andere über das Gehör ist stümperhaft.

(Thomas Bernhard: Das Kalkwerk)