Tischtuch

Tischtuch

 

»An der Tafel«, sagte Frau Degenstück, die Mutter von Malvine Degenstück, beim Tischdecken zu ihrer Tochter, »darfst du niemanden zwischen zwei Eheleute setzen, denn das bringt Unglück. Fällt ein Messer und bleibt im Fußboden stecken, stirbt jemand am Tisch. Und gib acht, dass das Tischtuch nicht verkehrt aufgedeckt wird, denn sonst droht Unheil.« Unter den Gästen, die bald eintrafen, um Malvines Verlobung mit dem Seidenhändler Lorbeer Hirsch zu feiern, war auch der junge Drogist Himmelblick, der, um höflich zu sein, eine Runde um den Tisch machte, um sich mit jedem Gast einmal zu unterhalten. Dabei nahm er bei Gelegenheit einen Stuhl, stellte ihn in die Lücke zwischen den beiden Stühlen, auf denen Herr und Frau Schmidt saßen und begann eine Unterhaltung mit Frau Schmidt. Malvines Mutter, die das sah, erschrak und der Salzstreuer, den sie gerade hielt, fiel ihr aus der Hand und verstreute Salz auf dem Tisch. Frau Degenstück schrie auf, denn sie wusste, dass verschüttetes Salz Unglück bringt. In diesem Moment sah sie, wie Herr Schmidt aus Versehen die Gabel seines Tischnachbarn nahm. Die Mutter hatte vergessen, die Tochter davor zu warnen, dass, wenn jemand unabsichtlich die Gabel des Nachbarn nahm und damit weiteraß, Unheil drohte. Sie stand auf und wollte Herrn Schmidt die Gabel entreißen, der aber zog die Arme zurück und schob dabei das Brotmesser an den Tischrand. Das Messer fiel und blieb im Holzboden stecken. In diesem Moment wurde der junge Kaplan Handlos, der am Kopf der Tafel saß, bewusstlos. Nachdem man den Priester im Vorzimmer auf die Chaiselongue gelegt hatte und der Arzt gerufen worden war, ging das Essen weiter. Doch da überkreuzte der junge Drogist Himmelblick die Beine. Frau Degenstück wollte noch sagen, dass wenn ein Gast am Tisch die Beine überkreuze, bald jemand begraben werde, da sank Lorbeer Hirsch schon von Schlag gerührt vom Stuhl. Malvine wollte ihn stützen und sah dabei, dass der Brotlaib auf dem Tisch auf der oberen Seite lag. Es war zu spät. Herr Schmidt wurde bewusstlos, sein Kopf fiel in den Teller vor ihm. Der Drogist Himmelblick bemerkte, dass das Tischtuch verkehrt auf dem Tisch lag. In diesem Moment fiel Frau Schmidt leblos vom Stuhl. Himmelblick schälte noch ein Ei, zerbrach aber die Schale nicht, sondern ließ sie ganz. Daraufhin betrat der Distriktsarzt Oberndorfer das Haus, um nach Kaplan Handlos zu sehen, konnte aber nur mehr dessen Tod feststellen. Der Doktor hatte einen Blumenstrauß für Malvine mitgebracht, allerdings mit einer geraden Anzahl von Rosen. Er sank sofort zu Boden und war tot. Malvine Degenstück und Frau Degenstück überlebten das Festessen, aber gut zu sprechen war die Tochter auf ihre Mutter danach nicht.