Balkon

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Die unglückliche Geschichte zweier betrunkener Urlauber aus Deutschland, die vom Balkon eines Salzburger Vier-Sterne-Hotels gestürzt sind, hat europaweit Schlagzeilen gemacht. Kurz vor Sonnenuntergang stürzten die zwei Rheinländer zwölf Stockwerke tief auf die Straße darunter, wobei ihr Sturz, wie die Mehrzahl aller Balkonstürze, tödlich endete. Erst dieses Jahr am 6. März stürzte ein vierunddreißigjähriger Mann vom Balkon seiner Wohnung in der Gemeinde Althofen in Kärnten vom dritten Stock eines Hauses zwölf Meter in die Tiefe. Vier Jahre zuvor fiel ein fünfundzwanzigjähriger britischer Tourist nach einer durchzechten Nacht von einem Balkon des Shangri-La-Hotels in Singapur. In Budapest erschütterte die Tragödie von Ethel Bartha-Hackel die Stadt, als sie vom Balkon ihrer Wohnung im vierten Stock in den Tod stürzte. Hierbei soll es sich nach Ermittlungen allerdings um einen Mordanschlag ihres Gatten gehandelt haben. In der sogenannten Schinkenstraße auf Mallorca machte ein Deutscher namens Bierbaum am Geländer seines Hotelzimmers Klimmzüge, ehe ihn die Kräfte verließen und er aus dem zwölften Stock in die Tiefe fiel. Der Nachwuchsboxer Georg Wieser soll nach einem Sparringskampf mit seinem Klubkameraden etwas über den Durst getrunken haben. In der Nacht von Samstag auf Sonntag betrat er aus unbekannten Gründen den Balkon seines Wohnhauses und stürzte von dort sieben Meter tief in ein Blumenbeet. Er erlag seinen Verletzungen. Der Zahntechniker Franz Charar verlor auf einem Hotelbalkon in Meran das Gleichgewicht und stürzte in die Tiefe; ebenso der Zentraldirektor des Versteigerungsamts Hofrat Alexander Sauer-Csaky von Nordendorf, der sich über das Geländer beugte, um einer Zigarette nachzusehen, die er hinuntergeworfen hatte. Die dreizehnjährige Schülerin Friederike Denk, Theodor Reusche, der erklärte Liebling der Berliner Possenbühne, der siebenundsechzigjährige Rentner Franz Kolsar aus Duell bei Velden, Michael Obermoser aus Reitsam, der Malerlehrling Karl Zauner aus Silz, die Tochter des Autolackierers Strauch in Meran, der Gymnasiast Paul Schneider, Georg De Martin, Franz Cecher, Franz Wimmer, Marie Stern, Frau Bice Brocca aus Gossensass, Theodora Campina-Demetrescu und Josef Miskolcz – sie alle fielen von Balkonen und fanden, wie die meisten aus großer Höhe Gestürzten, den Tod. Eine Ausnahme ist Karolina Ramstad aus Südschweden, die im Jahr 1912 eines Abends zur gewohnten Stunde nach Hause gekommen war. Da sie seit Tagen unerträgliche Kopf- und Zahnschmerzen quälten, ging sie missgelaunt zu Bett und schlief ein. Sie wurde aber am nächsten Morgen nicht zur festgesetzten Stunde munter, sondern verschlief sechsunddreißig Jahre ihres Lebens. Nach ihrem Erwachen war sie so benommen und orientierungslos, dass sie einem inneren Zwange folgend mit unsicheren Schritten auf ihren Balkon ging, sich über das Geländer beugte und hinabfiel. Karolina Ramstad überlebte den Sturz, konnte sich danach allerdings aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas nicht mehr an die Zeit vor dem Balkonsturz erinnern und war daher nicht in der Lage zu berichten, was sie in den vergangenen sechsunddreißig Jahren gedacht oder zumindest geträumt hatte.